Vor zwei Tagen hielt der Islamwissenschaftler und Buchautor Dr. Michael Lüders an der Uni Trier vor etwa 200 Zuhörern einen Vortrag mit dem Titel „Der Fluch der bösen Tat: Vom Sturz Mossadeghs im Iran 1953 bis zum Einmarsch in den Irak 2003“.
Gleich zu Beginn seiner ersten von drei geplanten Vorlesungen, die im Rahmen einer Gastprofessur an der Uni stattfinden sollen, stellte er klar, dass sich die Ereignisse im Nahen Osten – das Erstarken islamistischer Terrorgruppen, die nicht enden wollenden Konflikte – nicht einfach mit Religion oder Kultur erklären ließen. Dies sei nur der ideologische Überbau, hinter dem konkrete, materielle Kräfte die gesellschaftliche Entwicklung bestimmten. Auf dieser These aufbauend, ging es Lüders in dem folgenden, etwa einstündigen Vortrag vor allem darum, die Auswirkungen westlicher Interventionspolitik auf die materiellen Lebensverhältnisse und die geistige Einstellung der Bevölkerung des Nahen Ostens aufzuzeigen. Auch widmete er sich der Frage, welche Interessen hinter der kontinuierlichen Einwirkung westlicher Staaten in den Ländern dieser Region stehen. Neben der Einflussnahme im Iran wurden im Laufe des Vortrages viele weitere Interventionen thematisiert: der vom CIA initiierte Militärputsch in Syrien 1949, der von Frankreich, Großbritannien und Israel vom Zaun gebrochene Krieg gegen Ägypten 1956, die Bewaffnung fanatischer Islamisten im ersten Afghanistan-Krieg 1979-88 durch die USA u.v.m.
In einer nüchternen, nicht hinter irgendwelchen Phrasen versteckten Argumentations- und Erzählweise verdeutlichte der Redner die katastrophalen Folgen des Eingreifens westlicher Staaten für die Bevölkerungen der einzelnen Länder. Die offizielle Rechtfertigung, der angebliche Kampf für „Demokratie, Freiheit und Menschenrechte“, bezeichnete Lüders klipp und klar als das, was sie ist: bloße Fassade, hinter denen die Staaten ihre wirklichen Interessen verbergen. Doch was sind diese Interessen?
Für Lüders sind sie geopolitischer Natur, wie überhaupt Geopolitik der alles entscheidende Schlüssel zum Verständnis der Politik nicht nur des Westens, sondern auch Russlands, Chinas oder des Irans sei. Damit liegt er natürlich nicht falsch, doch schließt das konsequent weitergedacht schon die nächste Frage mit ein, nämlich in wessen Interesse denn Geopolitik betrieben wird. Im Falle des Sturzes Mossadeghs, dem demokratisch gewählten, politisch gemäßigten Premierminister Irans, im Jahre 1953 benennt Lüders die britischen und amerikanischen Interessen an den reichen Ölvorkommen in der Region als Anlass für die Initiierung des Putsches. Auch für den Angriffskrieg gegen Ägypten im Jahre 1956 nennt er wirtschaftliche Interessen Frankreichs und Großbritanniens, die mit der Verstaatlichung des Suez-Kanals durch die ägyptische Regierung nicht einverstanden waren, als Ursache. Soweit ist dem Wissenschaftlicher absolut zuzustimmen. Doch einerseits unterlässt es Lüders ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es nicht die Bevölkerungen Großbritanniens, Frankreichs oder der USA waren, deren wirtschaftliche Interessen auf dem Wege militärischer Interventionen vertreten wurden, sondern lediglich die der herrschenden Klassen dieser Länder. Andererseits vollzieht er nicht den eigentlich auf der Hand liegenden Zirkelschluss von Militärinterventionen und geopolitischen Interessen hin zu den Gesetzen des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Dass hinter der Geopolitik vor allem wirtschaftliche Interessen stehen, daran lässt auch Lüders wenig Zweifel, aber den Schritt weitergehen und zu sagen, dass das aggressive Streben nach Absatzmärkten und Rohstoffen, Verteidigung und Ausbau von Handelswegen – sprich: Profitmaximierung – eine logische Konsequenz des kapitalistischen Konkurrenzkampfes ist und damit Kriege unserem heutigen Wirtschaftssystem immanent sind, will der Redner dann doch nicht.
Aber vielleicht ist es gerade das, dieser fehlende letzte Schritt hin zu einem Kapitalismuskritiker, der ihm Vorträge wie den am Montag in Trier oder allgemein die große mediale Aufmerksamkeit überhaupt erst ermöglichen. Dass ein Mann wie Lüders, der „einfachen“ Lösungen komplexe Zusammenhänge gegenüberstellt, der als konsequenter Gegner jedes „Regime Changes“ auftritt (womit er sich unter einigen Trierer Studenten, die die Regierung Irans „gestürzt“ sehen wollen, keine Freunde machte), der in genauso nüchterner wie nachvollziehbarer Art die heuchlerische Politik der westlichen Industriestaaten aufzeigt, kurzum: der ein scharfer Kritiker des westlichen Imperialismus ist – dass ein solcher Mann im öffentlichen Diskurs und nun auch an der Trierer Uni eine Stimme hat, ist jedenfalls sehr zu begrüßen.
Seine weiteren Vorlesungen an der Uni Trier:
12. Juni 2017: The unknown known: Wie Washington seit 1949 regime change in Damaskus betreibt
10. Juli 2017: Flüchtlinge und Terror: Die sichtbarsten Kehrseiten der Strategie „Sieben Kriege in fünf Jahren“
– ein Bericht von Daniel, SDAJ Trier